Birdlip – Middleyard

​Ich gehe davon aus, dass jeder von euch schon mal morgens aufgewacht ist und einen Kater hatte. Klar, kennt so gut wie jeder. Diesmal war es das erste Mal, dass ich zwei Stunden vor meinem Wecker aufwachte und trotz akuter Müdigkeit partout nicht mehr einschlafen konnte, während meine Gedärme einen wilden Tango tanzten. Mein Kopf hämmerte. Mir war schwindlig. Meine Zunge fühlte sich an, als wäre ihr über Nacht ein Pelz gewachsen.

Kurzum – ich war weit davon entfernt fit zu sein. Und trotzdem war ich davon besessen, um spätestens halb 8 wieder auf der Strecke zu sein, denn schließlich hatte ich ein paar Kilometer zu bewältigen.
Nach einer Flasche Wasser (in einem Zug geleert, natürlich) und einer Dusche fühlte ich mich tatsächlich etwas besser. Und nach dem Zähneputzen war ich beinahe so etwas ähnliches wie wach. Und kurze Zeit später war ich tatsächlich wieder auf der Strecke.
Danke nochmal an Dave, der mich die zwei Kilometer zurück brachte, so dass ich nicht wieder an der Autobahn entlang laufen musste. Nicht, dass er dies je lesen würde. Aber die Geste zählt.
Ich muss zugeben, dass ich mich bisher auf dem Weg sehr sicher fühlte. Aber als ich um halb 8 durch einen verlassenen Wald lief, dank Nebel mit einer Sichtweite von unter zehn Metern, war mir doch ein wenig unbehaglich zumute. Nichtsdestotrotz genoß ich diese einsame Wanderung extrem – ich kam mir wirklich vor wie der einzige Mensch auf der Welt.
Es dauerte nicht lange bis ich nach Coopers Hill kam. Sagt euch nichts? Tja! Aber vielleicht wenn ich erwähne, dass genau dort das jährliche „cheese rolling event“ stattfindet, klingelt bestimmt was, oder? Für alle, die es nicht kennen: Das sind einfach ein paar Leute, die einen Hügel runterrennen, einem gewaltigen Laib Double Gloucester Cheese hinterher. Und das unter den wachsamen Augen von bis zu 4000 Zuschauern. Solltet ihr also mal im Mai dort sein – ich glaube es lohnt sich tatsächlich. Alleine schon wegen dem Spektakel!
Ich stapfte also weiter (zur Stärkung – und um meinen flauen Magen zu beruhigen – stopfte ich mir noch einen Müsliriegel und einen Apfel hinter die Kiemen) und kam irgendwann nach Painswick.
Das war von dem her ganz gut, weil ich nämlich dringend einen ATM – einen Geldautomaten – brauchte. Ich hatte kaum mehr Cash, wusste aber, dass ich meine Unterkünfte in bar zahlen musste.
Also stapfte ich zu dem kleinen Supermarkt, in dem sich laut meinem Guide der Geldautomat befinden sollte. Tja, der stand da auch. War aber leider kaputt. Der nette Angestellte konnte da leider auch nicht helfen. Entschuldigt hat er sich trotzdem – war ja auch Brite. Ich gönnte mir einen O-Saft und hüpfte weiter. In Kings Stanley sollte es schließlich noch einen Geldautomaten geben.
Kurz danach kam ich an einem extrem wichtigen Wegposten vorbei. Nämlich dem, der die Hälfte des Cotswold Way markiert! Ich hab tatsächlich ein wenig geheult – vor Freude und auch ein wenig vor Erschöpfung. (Und jetzt alle im Chor: „Pussy!“)
An irgendeinem Aussichtspunkt (ich hab leider den Namen vergessen, könnte Haresfield Beacon gewesen sein) sprach mich ein vierjähriges Mädchen an, ob ich ihr helfen könne, ihre Oma zu finden. Auf mein mitfühlendes „Oh. Are you lost?“ (Hast du dich verlaufen?)  antwortete sie mit einem erstaunten „No I’m not. Grannys lost!“ (Nein hab ich nicht. Oma hat sich verlaufen.) Auch eine Art, die Dinge zu sehen!
Oma war dank ihres knallpinken Shirts glücklicherweise leicht zu finden und so war die Familienzusammenführung perfekt. Und ich war froh, dass ich nicht die Polizei anrufen musste um eine verlorene Oma zu melden…
In Standish Wood kaufte ich mir noch bei einem herumstehenden Foodtruck ein Erdbeereis. Und es war das beste verfluchte Eis, das ich jemals gegessen habe! (Lag aber auch nur an den Begleitumständen…)
Schließlich fiel ich irgendwann in Kings Stanley ein und – Überraschung! – der Geldautomat funktionierte glücklicherweise. Ich deckte mich noch kurz mit lebenswichtigen Kleinigkeiten ein und zog dann weiter in den Pub (Kings Head), denn ich hatte noch eine Stunde Zeit, bevor ich im B&B einchecken konnte. 
Ich betrat den Pub und hatte die Aufmerksamkeit jedes einzelnen Gastes sicher. Offenbar waren alleinreisende Frauen dort ein eher ungewöhnlicher Anblick…
Ich bestellte mir eine Cola und verdrückte mich in eine Ecke. Die viele ungewollte Aufmerksamkeit war mir dann doch nicht geheuer. Ich vergrub mich in meinem Buch und verbrachte doch noch eine nette Zeit dort.
Irgendwann schulterte ich mein Bündel wieder und machte mich auf nach Middleyard. Mir wurde ein netter Empfang bereitet und ich bezog mein Zimmer. Nach einer wirklich nötigen Dusche lernte ich zwei Mädels kennen, mit denen ich einen herrlichen Abend in einem nahegelegenen Pub verbrachte. Und erst das Essen…! Ich hatte Spargelrisotto und Erdbeerkäsekuchen und ich schwärme immernoch davon. ES WAR EINFACH SO MEGALECKER!
Ähem.
Ja.
Entschuldigung.
Auf jeden Fall teilten wir uns dann auch irgendwann wieder ein Taxi zurück. Und erlebten etwas herrlich Unerwartetes. Das Taxi bog um eine Kurve – und stoppte abrupt. Die ganze Straße war voller Kühe!
Der Taxifahrer erklärte uns, dass dies immer mal wieder passierte, weil sich die Kühe in diesem County freibewegen dürfen. Das hieß im Klartext – die Kuh kommt zuerst! Wir warteten bis sämtliche Rinder an uns vorbeigetrottet waren und kamen schließlich wohlbehalten an.
Ich tätigte noch ein Paar Anrufe in die Heimat via WhatsApp (auch ich bin vor Heimweh nicht ganz gefeit). Doch ansonsten passierte außer schlafen nicht mehr viel…

Ein Gedanke zu “Birdlip – Middleyard

  1. Mit nem Kater zu wandern… Respekt , chapeau und leider geil 😉 irgendwie fühlt sich das schlimmer an als Muskelkater und Blase zusammen.
    Der Tag erscheint echt erlebnisreich: von entflohener Omi und Kuh bis zu dem Abend (erneut) im Pub.
    Du machst das großartig, da darf frau auch mal weinen 🙂
    Hach, wie gern hätte ich den Weg mit dir zusammen bestritten.

    Hab dich lieb

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